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Zu Besuch bei Einsteins Enkeln: Film 'Particle Fever'

Wie forschen moderne Physiker? Eine Antwort auf diese Frage gibt Mark Levinson mit seinem Dokumentarfilm 'Particle Fever'. An diesem Mittwoch feiert der Film im Swiss Science Center Technorama in Winterthur Deutschschweiz-Premiere. Wir haben den Film vorgängig visioniert. Eine Besprechung.

Zwei Protagonisten von 'Particle Fever': Fabiola Gianotti und David Kaplan im Untergrundlabor des ATLAS-Experiments am CERN in Genf.
Bild: PF Productions

Die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli hat eine Offensive ins Leben gerufen, mit der sie Schüler und Lehrkräfte insbesondere für Physik und Chemie begeistern will. Aepplis Initiative hat die gleiche Stossrichtung wie die MINT-Offensiven anderer Kantone: Sie will den Mangel an Ingenieuren und naturwissenschaftlich gebildeten Fachkräften verringern. Begeisterung wecken für Technik und Naturwissenschaften ist nicht immer einfach, zumal in der Physik. Denn die moderne physikalische Grundlagenforschung ist oft schwer verständlich. Sie überfordert selbst Menschen mit guter Schulbildung.

Denkmal für das Higgs-Teilchen

Im Juli 2012 entdeckten Wissenschaftler am Europäischen Labor für Teilchenphysdik (CERN) in Genf das Higgs-Teilchen. Bei diesem Elementarteilchen – Journalisten nenne es gern auch 'Gottesteilchen' – handelt sich um einen der 25 heute bekannten Bausteine unserer Materie. Der Nachweis des Higgs-Teilchens war eine der wichtigsten Entdeckungen der jüngeren Zeit. Sie rief in einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung der physikalischen Forschung in Erinnerung.

Der US-amerikanische Filmregisseur Mark Levinson, selber ausgebildeter Physiker, hat der Entdeckung des Higgs-Teilchens mit dem Dokumentarfilm 'Particle Fever' ein Denkmal gesetzt. Levonson rückt die Menschen ins Zentrum, die an der Higgs-Entdeckung beteiligt waren. Im Film kommt ein halbes Dutzend Physikerinnen und Physiker zu Wort, quasi Albert Einsteins Enkel. Zu den Personen gehört der Schweizer Physiker Peter Jenni. Er gilt als Gründervater von ATLAS, einem CERN-Grossexperiment mit mehreren Tausend Wissenschaftlern, das für die Higgs-Entdeckung von zentraler Bedeutung war.

Die Mühen der Forschung

Die Wissenschaftler sprechen in 'Particle Fever' über ihren Forscheralltag und ihr Weltbild. Im Zentrum ihrer Tätigkeit am CERN steht der 27 Kilometer lange, unterirdisch in einem ringförmigen Tunnel untergebrachte Teilchenbeschleuniger LHC. Diese Apparatur – im Grunde ein Mikroskop von höchster Präzision – war bereits in den 1980er Jahren ausgedacht worden. Bau und Inbetriebnahme des LHC dauerten dann aber nochmals ein Vierteljahrhundert. Erst 2012 konnte dann das Higgs-Teilchen dingfest gemacht werden. Einen Moment lang hatte es sogar danach ausgesehen, als seien mit dem LHC Milliarden in den Sand gesetzt worden. Das war im September 2008, als der Teilchenbeschleuniger kurz nach der Inbetriebnahme wegen einer technischen Panne wieder ausfiel – und während anderthalb Jahre repariert werden musste.

'Particle Fever' ist eine lebendig erzählte Einführung in die Gedankenwelt der modernen Physik. Als dramaturgischer Kniff stellt der Film zwei Theoriegebäude gegeneinander. Das erste – die Supersymmetrie – sagt voraus, dass es zu den uns bekannten Elementarteilchen jeweils ein Spiegelteilchen gibt. Mit dieser Annahme glauben die Physiker bisher rätselhafte Phänomene wie die sogenannte Dunkle Materie erklären zu können. Das zweite Theoriegebäude nimmt an, unser Universum sei nur Teil eines noch viel grösseren Ganzen, eines sogenannten Multiversums. Physiker erhoffen sich von den LHC-Resultaten Anhaltspunkte, welche der beiden Theorien zutreffen könnte. Bisher liegen solche Resultate allerdings nicht vor, wie Levinsons Film kleinlaut einräumen muss.

Ausflug in die Theologie

Nicht jedem Physiker wird die Schlusspassage des Films gefallen. Dort greift Mark Levinson zu einem ziemlich kühnen Vergleich: Er verleiht dem Higgs-Teilchen geradezu göttlichen Charakter und bezeichnet es als „Schöpfer und Zerstörer“. Levinson beruft sich dabei auf die Tatsache, dass die mit dem Higgs-Teilchen zusammenhängenden Mechamismen dafür verantwortlich sind, dass unsere Materie überhaupt eine Masse hat, Materie also erst zu Materie macht. Physikern dürfe Levinsons Ausflug in die Theologie missfallen. Für die meisten von ihnen ist schon der Begriff 'Gottesteilchen' eine missliebige theologische Spekulation.

Benedikt Vogel (veröffentlicht 29. 9. 2014). Die Filmbesprechung ist am 29. 9. 2014 im Winterthurer 'Landboten' erschienen.

PARTICLE FEVER - Official Trailer (2014) HD

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