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Podium Genf

Kunst und Wissenschaft: eine Begegnung auf unbekanntem Terrain

Das Podiumsgespräch vom Mittwoch, 10. Dezember, mit Ruth Durrer (Physikprofessorin an der Universität Genf) und dem Genfer Künstler Christian Gonzenbach versprach ergiebig und leidenschaftlich zu werden. Die Debatte hat dieses Versprechen gehalten. Die Diskussion unter dem Titel 'Dunkle Materie – das Unsichtbare existiert' wurde von Elisabeth Chardon, Journalistin bei der Tageszeitung 'Le Temps', moderiert.

Die Journalistin Elisabeth Chardon ('Le Temps') hat die Diskussion moderiert.
Bild: M. Turiault

Ruth Durrer eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen Vortrag zum Thema Dunkle Materie, gefolgt von einem Videoporträt, das Christian Gonzenbach bei der Arbeit in seinem Atelier zeigte. Das war der zwanzigminütige Auftakt der Veranstaltung, welcher beim Publikum im 'Bâtiment d’art contemporain' in Genf die Neugierde des Publikums weckte. Schliesslich sollten sie einer Begegnung von Kunst und Wissenschaft beiwohnen, einer Begegnung nicht nur von zwei verschiedenen Welten, sondern auch von zwei verschiedenen Sprachen, die es zu entschlüsseln gilt.

Kunst und Wissenschaft gehen über das Bekannte hinaus

Die Kunst und die Wissenschaft scheinen aus der gleichen Faszination für das Unbekannte hervorgegangen zu sein. Sie gehen den selben grundlegenden Fragen über das Warum und das Wie unserer Existenz und unseres Universums nach. Das grosse Unbekannte für Ruth Durrer, das ist die Zusammensetzung der Dunklen Materie, die 25 % unseres Universums ausfüllt. Diese Materie muss existieren, weil man ihre Gravitationswirkung auf die Galaxien beobachten kann. Allerdings ist ihr Wesen noch völlig unbekannt. Die Augen der Physikerin leuchten, wenn sie sich vorstellt, eines Tages das oder die Teilchen zu entdecken, die diese Dunkle Materie formen.

Es ist die gleiche Faszination für das Unbekannte, die den Künstler Christian Gonzenbach dazu bringt, seinerseits mit Materie zu experimentieren. Er lässt sich faszinieren von den Formen, die ein heisses Metallstück bildet, das sich den Weg durch einen Styroporblock sucht. Das ist die Methode, mit der er seine Skulpturen schafft. “Kunst und Wissenschaft wollen über das Bekannte hinausgehen, das ist der selbe Beweggrund wie die Begeisterung für das Monster von Loch Ness, von dem man nichts wahrnimmt ausser Wellen und Schatten. Was mich interessiert : in unserer bekannten Welt Unbekanntes zu entdecken. Neue Formen dort zu finden, die man alles schon zu kennen glaubt», erklärte der Künstler.

Künstler und Wissenschaftler sprechen nicht die dieselbe Sprache – ein schöpferisches Missverständnis

Was bekannt ist für die einen, kann für andere einen Teil von Unbekanntheit bewahren. Obwohl das CERN hat in den letzten Jahren viel getan hat, um Begegnungen zwischen Physikern und Künstlern zu ermöglichen, herrscht doch zwischen Kunst und Wissenschaft weiterhin ein Unverständnis. Für Christian Gonzenbach hat dieses gegenseitige Missverstehen eine kreative Seite. Viele zeitgenössische Künstler hätten die Arbeit der Physiker am Teilchenbeschleuniger LHC aus der Nähe kennengelernt.

Ihre Begegnungen seien eine Art Dioalog zwischen zwei Fremden, die keine gemeinsame Sprache teilten. Die Worte der einen hätten nicht den gleichen Wert für die anderen. Die Worte der Physiker wie 'Wimpzilla' oder 'Gravitinos' – beides Teilchen, die als Bestandteile der Dunklen Materie in Frage kommen – seien durchaus poetisch, sagt Christian Gonzenbach. Sie wecken die Neugierde und das schöpferische Interesse. Wenn man diese Worte ausspreche, formten sich alsbald Bilder.

Wenn ich eine Gleichung sehe, sehe ich sofort Teilchen

Die Wahrnehmung des Wissens durch die Nicht-Spezialisten ist also vom Wissen an sich zu unterschieden. Während seines Aufenthalts am CERN war Christian Gonzenbach enttäuscht, dass keines der dort am LHC untersuchten Objekte sichtbar war. Mit einem Schmunzeln meinte er : “Als ich in den Laboratorien angekommen bin, hoffte ich, dort Kühlschränke voll von Dunkler Materie zu finden, um mit ihr eine Skulptur zu formen.

Aber ich habe in den Kühlschränken nur Bier gefunden, und auf den Computerbildschirmen Zahlen und Gleichungen.“ Diese Gleichungen sagten dem Künstler nichts, während sich daraus für Ruth Durrer Bilder formen: “Wenn ich eine Gleichung sehe, sehe ich sofort das Teilchen, das diese Gleichung beschreibt. So wie ein Musiker die Musik hört, wenn er eine Partitur sieht.” Christian Gonzenbach ergänzte: ”Aus dem gleichen Grund hört man alle Arten von Widersinn über die moderne Kunst – weil sie keine Codes mitliefert, um sie zu verstehen”.

Man hat mit künstlerischen Mitteln leichteren Zugang zu Emotionen und Gefühlen

Wo die Wissenschaft eine Quelle der Inspiration für die Künstler sein kann, stellt sich der Ausstausch auch für die Wissenschaftler als fruchbar heraus, meinte Ruth Durrer: “Künstler wie Physiker stellen dumme Fragen, die nicht so trivial sind, wie sie scheinen. Denn diese Fragen haben das Zeug, unseren Rahmen zu sprengen. Mein Mann, ein Künstler, stellt mir oft sehr simple Fragen, die mich dazu bringen, Bekanntes zu überdenken. Ich habe dann bisweilen Mühe, die Dinge zu erklären. Das bedeutet, dass für mich etwas nicht klar war.” Über die naiven Fragen hinaus hat die Kunst Antworten parat, wo die Wissenschaft nicht zuständig ist, wie die Physikerin erklärte: ”Man hat mit den künstlerischen Mitteln leichter Zugang zu Emotionen und Gefühlen; in anderen Gebieten wiederum gibt die Physik die treffenden Antworten.”

Die Physik ist wie die Musik Teil unserer Kultur

Zum Schluss wollte Elisabeth Chardon wissen, wozu sie denn nun gut sind, die Physik und die Kunst. Christian Gonzenbach antwortete mit einem Zitat von Robert Filliou: “Die Kunst macht das Leben interessanter als die Kunst.” Dieses Zitat hat er während seines Aufenthalts am CERN angepasst: “Die Physik macht das Leben interessanter als die Physik.”

ür Ruth Durrer “ist die Physik ein grundlegendes Bedürfnis des menschlichen Wesens. Wie die Musik gehört sie zur Kultur. Der Unterschied zwischen uns Menschen und dem Tier, das sich einfach nur ernähren will, ist die Kultur.“

Marc Turiault (veröffentlicht 12.12.2014; Übersetzung: BV)

Der Experimentalphysiker Martin Pohl ist Professor an der Universität Genf und arbeitet am CERN. Christian Gonzenbach ist als Künstler in Genf tätig. Unter der Moderation von Susanne Steiger diskutierten sie in einem Hangout über das Phänomen der Dunklen Materie und darüber, wie sich Physik und Kunst gegenseitig inspirieren.

  • Ruth Durrer, Physikerin.
  • Christian Gonzenbach, Künstler.
  • Ein aufmerksames Publikum meldete sich in der Genfer Debatte zu Wort.
  • Ruth Durrer, Physikerin.Bild: M. Turiault1/3
  • Christian Gonzenbach, Künstler.Bild: M. Turiault2/3
  • Ein aufmerksames Publikum meldete sich in der Genfer Debatte zu Wort.Bild: M. Turiault3/3
7me hangout de physique des particules: "Matière noire", Idée et direction: Christine Plass (publié le 3. 12. 2014)

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