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„Gleichgewicht zwischen Schwerpunkten und Vielfalt“

Strategiedebatte

Am CHIPP-Jahrestreffen vom 24. bis 26. Juni 2013 in Sursee haben die in der Schweiz tätigen Teilchenphysiker und Teilchenphysikerinnen auch die 'Europäische Strategie für Teilchenphysik' erörtert, die der CERN-Rat einen Monat zuvor verabschiedet hatte. Die Strategie definiert die Forschungsfelder und Grossprojekte, die die Teilchenphysiker künftig bearbeiten wollen. Die zentralen Elemente der Strategie sind der Weiterbetrieb und Ausbau des Large Hadron Collider (LHC) am CERN sowie die europäische Beteiligung am Projekt eines neuen Linearbeschleunigers (International Linear Collider, ILC). Tatsuya Nakada, Physikprofessor an der ETH Lausanne (EPFL), gibt Auskunft.

EPFL-Professor Tatsuya Nakada.
Bild: Benedikt Vogel

Prof. Nakada, Sie haben das Expertengremium präsidiert, das die Europäische Strategie für Teilchenphysik vorbereitet hat. Warum brauchen die Teilchenphysiker eine solche Strategie?

Tatsuya Nakada: Ich habe die Vorbereitungsgruppe präsidiert, welche den wissenschaftlichen Input aus einem offenen Symposium im September 2012 in Krakau sowie die weltweiten schriftlichen Stellungnahmen aufgearbeitet hat. Daneben haben ich auch die Strategiegruppe präsidiert, die das Strategiedokument aufgesetzt hat. Die Teilchenphysiker brauchen normalerweise grosse und komplexe Forschungseinrichtungen, um ihre Experimente durchzuführen. Es braucht viel Zeit, solche Anlagen zu entwerfen, und die Kosten sind erheblich. Das ist der Hauptgrund, warum wir eine Strategie brauchen, denn nur so können wir die nötigen Forschungseinrichtungen in einer angemessenen Weise entwerfen. Wir können nicht alle Anlagen bauen, die wir gern hätten. Wir müssen Prioritäten setzen.

Was war die Hauptherausforderung bei der Formulierung der Strategie?

Ein Gleichgewicht zu finden zwischen Schwerpunkten und Vielfalt. Im aktuellen sozioökonomischen Umfeld können wir nicht alles realisieren, was wir für relevant halten. Wir müssen also Schwerpunkte setzen. Auf der anderen Seite kommt ein echter Durchbruch in der Wissenschaft oft als komplette Überraschung aus einer völlig unerwarteten Richtung. Deshalb ist auch Vielfalt wichtig.

Was ist aus Ihrer persönlichen Sicht der Haupterfolg der Europäischen Strategie für Teilchenphysik?

Wir haben uns auf eine Anzahl von Strategieaussagen verständigt, welche untereinander in einem Spannungsfeld stehen, also etwa das Festlegen von Schwerpunkten bei gleichzeitiger Forderung nach Vielfalt. Oder die Ambition Europas, auch in Zukunft in der Hochenergiephysik an vorderster
Front mit dabei zu sein, zugleich aber die Bereitschaft zu erklären, sich an globalen Projekten zu beteiligen, die ausserhalb von Europa stattfinden. Schliesslich ist es der Strategie auch gelungen, von der Teilchenphysik-Community als 'unsere' gemeinsame Strategie anerkannt zu werden.

Die Europäische Strategie geht davon aus, dass der neue Linearbeschleuniger ILC in Japan gebaut werden soll. Heisst das, der CERN-Standort Genf wird seinen Status als Herz der weltweiten Teilchenphysik-Gemeinde einbüssen?

Keineswegs! Wenn Sie wirklich an globale Projekte glauben, dann müssen sie auch bereit sein, sich an diesen Projekten zu beteiligen, wenn sie ausserhalb ihrer eigenen Region stattfinden. Sonst können sie nicht beanspruchen, das Herz der der globalen Teilchenphysik-Gemeinde zu sein. Der nächste Beschleuniger am CERN, der in Zukunft einmal den heutigen Beschleuniger LHC ablösen wird, wird ein globales Projekt sein müssen. Wenn wir nicht bereit sind, Projekten und anderen Weltregionen zum Durchbruch zu verhelfen, wie können wir da von den anderen Regionen Unterstützung für unser eigenes Projekt erwarten?

Denken Sie, die Teilchenphysiker haben die volle Unterstützung der Politiker in Europa und weltweit?

Sehr wahrscheinlich ist es nicht die 'volle' Unterstützung. Aber ich glaube, wir haben eine starke Unterstützung. Ich denke, die europäische Öffentlichkeit trägt die Faszination der Teilchenphysik im allgemeinen mit. Das ist der wichtigste Punkt.

Wie beeinflusst die Europäische Strategie die Arbeit die Schweizer Teilchenphysik konkret?

Die Europäische Strategie ist durch den CERN-Rat gutgeheissen. Nun ist es an den Mitgliedsstaaten, ihre jeweiligen nationalen Teilchenphysik-Strategien in Einklang mit der europäischen Strategie zu bringen. In der Schweiz kommt diese Aufgabe dem Schweizer Institut für Teilchenphysik (CHIPP) zu. CHIPP ist dafür als Organisation der Schweizer Teilchenphysiker und dank ihrer guten Kontakte mit den finanzierenden Institutionen und der Regierung gut aufgestellt.

Interview Benedikt Vogel (veröffentlicht: 1. Juli 2013)

  • EPFL-Professor Tatsuya Nakada.
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  • EPFL-Professor Tatsuya Nakada.Bild: BV / Benedikt Vogel1/2
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