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Future Circular Collider

„10 x soviel Energie wie der LHC"

Mit dem Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) am CERN wurde 2012 das Higgs-Teilchen entdeckt, und in den nächsten 20 Betriebsjahren werden von der Grossforschungsanlage in Genf weitere bahnbrechende Erkenntnisse erwartet. Trotzdem tüfteln Physiker bereits am Bau eines neuen, noch grösseren Beschleunigers unter dem Namen FCC, mit dem Teilchenkollisionen von noch höherer Energie möglich werden sollen. Stefan Antusch, Professor für Theoretische Physik an der Universität Basel, erläutert im Interview Stand und Zielsetzung des neuen Projekts.

Drei Teilchenbeschleuniger im Grössenvergleich: der bestehende LHC und die beiden Projekte FCC und CLIC.
Bild: NZZ

Prof. Antusch, der LHC wird noch zwanzig Jahre in Betrieb sein. Trotzdem zerbrechen sich die Teilchenphysiker bereits den Kopf über den Bau eines noch grösseren Teilchenbeschleunigers. Warum diese Eile?

Stefan Antusch: Grossforschungsanlagen in der Teilchenphysik muss man sehr langfristig planen. Die Planungen für den Teilchenbeschleuniger LHC, der 2009 in Betrieb ging, reichen bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück, sie dauerten also rund 25 Jahre. Für den Bau eines neuen Teilchenbeschleunigers müssen neue Technologien entwickelt werden; das braucht viel Vorlauf. Zudem ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt, über einen neuen Beschleuniger nachzudenken, der den LHC in 20 Jahren ablösen könnte. Die Entdeckung des Higgs-Teilchens 2012 am LHC liefert uns nämlich Erkenntnisse, die eine wichtige Grundlage bilden für die Konzeption eines neuen Beschleunigers.

Welches sind die Eckpunkte des geplanten Future Circular Collider, kurz FCC? In welchem Verhältnis stehen diese Eckwerte zum LHC?

Der Teilchenbeschleuniger FCC soll wie der LHC in einem unterirdischen Tunnel untergebracht werden. Dieser Tunnel soll allerdings etwa dreimal so lang werden wie jener des LHC, nämlich 80 bis 100 Kilometer. Im FCC sollen Protonen beschleunigt, aufeinander geschossen und damit zur Kollision gebracht werden, um die bei der Kollision neu entstehenden Teilchen untersuchen zu können. Die Kollisionsenergie soll beim FCC 100 Teraelektronenvolt (TeV) betragen, das ist fast 10 mal soviel wie beim LHC. Der Tunnel des neuen Beschleunigers könnte aber auch für andere Zwecke genutzt werden, zum Beispiel, um Elektronen und Positronen aufeinanderprallen zu lassen. Dieses Experiment würde sich ausgezeichnet eignen, um die verschiedenen Zerfallskanäle des Higgs-Teilchens mit hoher Genauigkeit zu untersuchen.

Was wird der FCC können, was der LHC nicht kann?

Dank der viel höheren Kollisionsenergie im FCC könnten womöglich neue Elementarteilchen und neue Wechselwirkungen entdeckt werden. Wir wissen, dass das Standardmodell der Teilchenphysik noch keine endgültigen Antworten über den Aufbau der Materie liefert. Wir hoffen, mit dem FCC Antworten zu bekommen, die über das Standardmodell, unsere derzeitige Elementarteilchentheorie, hinausweisen.

Vor einigen Tagen gab es in Genf ein Kick-off-Meeting zum neuen Beschleuniger-Projekt. Welche Fragen wurden dort diskutiert? Mit welchem Ergebnis?

Nun, das Treffen in Genf markierte den Start zu einer Konzeptstudie. Diese Studie soll zeigen, ob ein neuer Teilchenbeschleuniger machbar ist und welche Anforderungen für ihn gelten müssen, damit er einen maximalen physikalischen Erkenntnisgewinn bringt. Eine wichtige technische Frage betrifft beispielsweise die Weiterentwicklung der supraleitenden Magnete. Diese Magnete, die die Teilchen im Ringbeschleuniger auf ihrer Bahn halten, müssen deutlich leistungsfähiger werden, wenn der FCC realisiert werden soll.

Wie teuer könnte der FCC werden?

Das ist eine der Fragen, die mit der Konzeptstudie abgeschätzt werden sollen.

Dass ein solcher Beschleuniger Milliarden verschlingen würde, ist absehbar. Mit welchen Argumenten wollen Sie der Öffentlichkeit plausibel machen, dass die Physiker ein so teures Experiment brauchen?

Natürlich wird der FCC nicht ganz billig werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Teilchenbeschleuniger aber eine gute Investition sind. Zum einen ermöglichen sie spektakuläre physikalische Erkenntnisse und schaffen so die Basis, dass die Grundlagenforschung in der Physik vom Fleck kommt. Solche Beschleuniger sind aber auch wichtig für neue technologische Entwicklungen. Auch aus diesem Projekt – das ist heute schon absehbar – werden etliche Spin-offs hervorgehen, die technologische Neuerungen kommerzialisieren und so auch für einen kurzfristigen, wirtschaftlichen Nutzen sorgen werden.

Sie sind nicht Experimentalphysiker, sondern theoretischer Physiker. Was fasziniert Sie persönlich am FCC-Projekt?

Der FCC würde die experimentellen Daten liefern, damit wir Theoretiker verbesserte Theorien über die Elementarteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte entwickeln können. Hinzu kommen die bisher ungelösten Fragen, was Dunkle Materie ist, oder warum die gemäss dem Standardmodell masselosen Neutrinos trotzdem eine Masse haben. Auch möchten wir die Gravitationskraft in unsere Modelle mit einbeziehen, was bisher im Standardmodell noch nicht realisiert ist. Zudem stehen wird bei der Erforschung des Higgs-Teilchens erst am Anfang.

Die Physik an der Universität Basel, an der Sie als Professor tätig sind, hat als ersten Schwerpunkt Nano- und Quantenphysik, eine Fachrichtung, auf der auch grosse Hoffnungen für kommerzielle Anwendungen ruhen. Einen zweiten Schwerpunkt bilden Kosmologie und Teilchenphysik. Welche Disziplin wird die Welt in den nächsten 25 Jahren mehr verändern – die Teilchenphysik oder die Nano-/Quantenphysik?

Beide Bereiche befinden sich zur Zeit in einer rasanten Entwicklung und werden meiner Einschätzung nach wichtige Auswirkungen für die Zukunft haben. Die Nano- und Quantenphysik ist sehr viel näher an der kommerziellen Anwendung, und wird in den nächsten 25 Jahren sicher grosse Veränderungen bewirken. Die Teilchenphysik legt in dieser Zeit möglicherweise die Grundlage für die nächste technologische Revolution. Bis zur Anwendung dauert es dann allerdings vermutlich länger als 25 Jahre. Aber auch schon in den nächsten Jahren könnten neue Erkenntnisse, z.B. durch weitere Entdeckungen am LHC, das physikalische Weltbild entscheidend verändern.

Es gibt neben dem FCC noch weitere Projekte für neue Beschleuniger: ein Linearbeschleuniger unter dem Namen ILC, der in Japan gebaut werden soll. Und ein Linearbeschleuniger mit dem Namen CLIC, der am CERN gebaut werden könnte. Ist es denkbar, dass gleich mehrere dieser Projekte realisiert werden?

Aus meiner persönlichen Sicht ist es denkbar und wünschbar, wenn mehrere dieser Projekte realisiert werden könnten. Denn jeder dieser Beschleuniger verfolgt eigene, komplementäre Erkenntnisziele.

Welches sind die zentralen Beiträge, die Schweizer Physiker an den FCC leisten werden?

Viele Schweizer Gruppen machen experimentelle und theoretische Arbeiten, die mit dem FCC in Beziehung stehen. Am Kick-off-Meeting in Genf waren denn auch viele Physiker von Schweizer Instituten mit dabei. Um Ihre Frage im Detail zu beantworten, ist es aber noch zu früh.

Sollten keine neuen Gross-Beschleuniger gebaut werden – ist die Teilchenphysik dann am Ende?

Zwar gibt es auch andere Experimente, mit denen die Physik wichtige neue Erkenntnisse gewinnen kann. Für die Zukunft der Teilchenphysik ist es aber unerlässlich, dass wir Experimente mit sehr hohen Energien durchführen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der LHC der letzte Gross-Beschleuniger war, der gebaut wurde.

Interview Benedikt Vogel (veröffentlicht 26. 2. 2014)

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  • Drei Teilchenbeschleuniger im Grössenvergleich: der bestehende LHC und die beiden Projekte FCC und CLIC.
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  • Drei Teilchenbeschleuniger im Grössenvergleich: der bestehende LHC und die beiden Projekte FCC und CLIC.Bild: NZZ2/2

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