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BOSS-Experiment

Jede Nacht ein Stück des Himmels

Nur vier Prozent unseres Universums bestehen aus der uns bekannten Materie. Der grösste Teil des Weltalls hingegen – davon ist die moderne Physik überzeugt – besteht aus Dunkler Energie. Was diese Dunkle Energie ist, kann heute noch niemand wirklich erklären. Hinweise zu einem besseren Verständnis des Phänomens liefert ein Astrophysiker der ETH Lausanne (EPFL): Dort wertet der 26jährige Nachwuchsforscher Timothée Delubac Daten vom Sternenhimmel aus, die in Zukunft einmal eine besseres Verständnis von Dunkler Energie erlauben könnten. In den letzten Monaten hat Delubac im Rahmen des BOSS-Experiments faszinierende neue Erkenntnisse gewonnen.

Thimothée Delubac

Unter einem Astronomen stellt man sich eine Person vor, die in klaren Nächten durch das Fernrohr in die Sterne guckt, um deren Bewegungen und Zusammensetzung zu verstehen. Doch auch bei den Forschern hat längst die Arbeitsteilung Einzug gehalten. So sitzen nachts Leute am Sloan-Teleskop in Neumexiko (USA) und sammeln Daten vom Sternenhimmel, und wenn es dann das nächste Mal in Versoix bei Genf tagt, setzt sich Timothée Delubac in sein Büro in der ehemaligen Sternwarte und beginnt damit, die in den USA gesammelten Daten vom Sternenhimmel auszuwerten.

6000 bis 7000 Objekte pro Nacht

Timothée Delubac stammt aus Annecy (F). An der Universität Paris hat er Teilchenphysik und Kosmologie studiert und ebendort im September 2013 beim Commissariat à l'Energie Atomique (CEA) promoviert. Unterdessen arbeitet er als Postdoc beim EPFL-Kosmologen Jean-Paul Kneib. Seit 2008 suchen Delubac und seine Forscherkollegen des BOSS-Experiments den Sternenhimmel ab nach Daten von entfernten Galaxien und Quasaren. Bis zu 40 Quadratgrade – ein winziger Ausschnitt des Himmels – klappern Sie in einer klaren Nacht nach Himmelskörpern ab. Sie erfassen dort 1000 Objekte jede Stunde, 6000 bis 7000 Objekte in einer Nacht. In Hunderten von Nächten haben sie so Daten von 1,5 Millionen Galaxien und 160 000 Quasaren zusammengetragen und mittels Spektroskopie ausgewertet.

Doch wozu ist die ganze Mühe gut? „Wir möchten die Dunkle Energie verstehen, dieses bisher unverstandene Etwas, das 70 Prozent unseres Universums ausmacht“, sagt Delubac. „Um dieses Phänomen zu verstehen, wollen wir möglichst genau wissen, mit welcher Expansionsrate sich das Universum vor elf Milliarden Jahren ausgedehnt hat.“ Timothée Delubac sitzt in einem Restaurant am Ufer des Genfersees bei Versoix. Begriffe wie 'Dunkle Energie', 'Milliarden Jahre' und 'Expansionsrate' gehen ihm locker über die Lippen wie die Kommentare zu einem Fussballspiel. Warum auch nicht? Der 26jährige Forscher kann für sich in Anspruch nehmen, erstmals die Expansionsrate des jungen Universums gemessen zu haben. Nicht ganz alleine zwar, sondern mit den rund 50 Kollegen des BOSS-Experiments, aber auch das ist eine beachtliche Leistung.

Einblick in das drei Milliarden Jahre junge Universum

BOSS steht für 'Baryon Oscillation Spectroscopic Survey'. Das Teleskop, das die BOSS-Forscher in der Wüste von Neumexiko (USA) für die Beobachtung des Sternenhimmels nutzen, ist mit 2,5 m Durchmesser nicht besonders gross. Doch mit diesem Gerät und dem zugehörigen Spektroskop gelang den Forschern nun ein faszinierender Blick in die Geschichte des Universums. Sie beobachten damit insbesondere das Licht von Quasaren, das diese vor elf Milliarden Jahren ausgesendet haben. Nachdem das Licht elf Milliarden Jahre unterwegs war, erzählt es den Forschern heute etwas über den Zustand der Quasare und damit das Universums zum Zeitpunkt vor elf Milliarden Jahren, also einer Zeit, als sich das Universum noch in dem relativ zarten Alter von drei Milliarden Jahren befand.

Die Forscher können aus den empfangenen Daten insbesondere die sogenannte Expansionsrate ableiten. Das ist die Geschwindigkeit, mit der sich Galaxien und andere Himmelskörper voneinander wegbewegen. Als das Universum drei Milliarden Jahre jung war, betrug die Expansionsrate rund 67 km/s/Mparsec (so die Einheit, in der die Expansionsgeschwindigkeit gemessen wird). Diese Zahl elektrisiert Kosmologen aus zwei Gründen. Erstens, weil sie von der BOSS-Kollaboration erst vor kurzen erstmals überhaupt gemessen wurde. Und zweitens, weil sie die experimentelle Bestätigung einer kosmologischen Theorie ist, die besagt, dass sich das Universum in seinen jungen Jahren sehr schnell ausdehnte, die Ausdehnung dann aber zunehmend an Tempo einbüsste, bis das Universum acht Milliarden Jahre alt war (62 km/s/Mparsec), seither aber wieder an Tempo zulegt. Heute beträgt die Expansionsrate bereits 70 km/s/Mparsec.

Dunkle Energie treibt Universum auseinander

Warum das Universum bei seinem Ausdehnungstempo nach dem Urknall diese Unstetigkeit an den Tag legt, können Forscher bisher nicht erklären. Aber die Wissenschaftler sind überzeugt, dass sich aus dieser Beobachtung Schlüsse am Ende Schlüsse ziehen lassen, was es mit der Dunklen Energie auf sich hat. Die Dunkle Energie scheint nämlich für den Expansionsdrang des Universums massgeblich zu sein. „Die Dunkle Energie ist für die ansteigende Expansionsrate verantwortlich. Je genauer wir über die Expansionsgeschwindigkeit Bescheid wissen, desto besser verstehen wir die Dunkle Energie. Das Resultat, das wir dieser Tage bekanntgeben konnten, ist die präziseste Messung der Expansionsgeschwindigkeit, die jemals gemacht wurde.“

Wer das Universum mit dieser bisher unerreichten Präzision vermessen kann, gebührt dem nicht der Nobelpreis? „Nein, nein“, sagt Delubac und winkt mit einem Lächeln ab. „Wir haben im BOSS-Experiment quasi nur gemessen. Wenn jemand einen Nobelpreis verdient hat, dann am ehesten der Harvard-Physiker Daniel Eisenstein, der die von uns benutzte Messidee in den 1990er Jahren entwickelt und 2005 für eine erste Messung eingesetzt hat“, sagt Delubac. Im Moment denkt der Jungforscher ohnehin nicht an Auszeichnungen. Sein Interesse liegt vielmehr bei der geplanten Fortsetzung des BOSS-Experiments über das Jahr 2014 hinaus. Mit 'Extended BOSS' sollen während fünf Jahren die Messungen weiter präzisiert und die Expansionsrate für weitere Zeitpunkte in der Entwicklung des Universums bestimmt werden. Bis so ein Wahnsinnsding wie das Universum ausgemessen ist, ist am Ende doch ein wenig Geduld erforderlich.

Benedikt Vogel (veröffentlicht 9. 5. 2014)

  • Der Kosmologe Thimothée Delubac hat sein Büro bei der ehemaligen Sternwarte in Versoix am Genfersee; die Daten für seine Forschung bezieht er aber aus den USA.
  • Thimothée Delubac
  • Der Kosmologe Thimothée Delubac hat sein Büro bei der ehemaligen Sternwarte in Versoix am Genfersee; die Daten für seine Forschung bezieht er aber aus den USA.Image: Benedikt Vogel1/2
  • Thimothée Delubac2/2

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