Member of SCNAT

CHIPP is an association uniting researchers active in particle, astroparticle and nuclear physics in Switzerland. It strengthens the Swiss participation in international projects and committees, coordinates research and teaching activities in Switzerland, and promotes public awareness of the field.more

Image: ESOmore

Physikdidaktik

„Sie wollen nicht nur messen, sie wollen verstehen“

Karl-Heinz Lotze (62), Professor für Physik und Didaktik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, führt vom 15. - 17. Juli in Jena und - zusammen mit Frau Prof. Gesche Pospiech (Universität Dresden) - vom 22. - 26. Juli in Bad Honnef zwei Weiterbildungsveranstaltungen unter anderem für deutsche Physiklehrkräfte durch. Mit von der Partie sind mit Prof. Norbert Straumann (Universität Zürich, emeritiert) und PD Dr. Hans Peter Beck (Universität Bern/CERN) zwei Schweizer Teilchenphysiker, die ihr jeweiliges Wissen einbringen. Im Interview erläutert der Didaktikspezialist Lotze, wie Teilchenphysik Breitenwirkung entfalten kann.

Prof. Karl-Heinz Lotze (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Herr Prof. Lotze, was ist das Ziel der beiden Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte?

Prof. Karl-Heinz Lotze: Die Veranstaltung in Jena war eine bundesweite Fortbildung für Astronomie mit 140 Teilnehmern, vor allem Lehrer. In den ostdeutschen Bundesländern ist Astronomie bis heute ein Schulfach. Die Veranstaltung sprach neben Lehrkräften aber auch Planetariumsleiter und weitere interessierte Personen an. In Bad Honnef findet am Zentrum der Deutschen Physikalischen Gesellschaft dieser Tage eine einwöchige Lehrerfortbildung unter der Überschrift 'Physik und Mathematik' statt. Anlass zu der Veranstaltung gab die Sorge, dass die beiden Schulfächer sich mehr und mehr auseinanderleben. Im 19. Jahrhundert waren die beiden Fächer noch eins, damals hat man die Physik noch betrachtet als Übungsaufgabe zur Mathematik. Wir wollen mit den ca. 45 Lehrern, die nach Bad Honnef kommen, diskutieren, wie wir neue Brücken zwischen den beiden Fächern bauen können, ohne zu diesem alten Zustand zurückzukehren.

Was haben Schweizer Teilchenphysiker wie Norbert Straumann und Hans Peter Beck an einer Veranstaltung für Astronomie zu suchen?

Wir befassen uns nicht nur mit Astronomie, sondern gezielt auch mit Teilchenphysik. Zwischen Astronomie sowie erst recht auch Kosmologie und Teilchenphysik bestehen ja seit jeher enge Verbindungen – eine Disziplin hofft gern darauf, dass die andere ihr helfen kann und umgekehrt. Wenn man sich für Astronomie interessiert, braucht man auch Kenntnisse über das Standardmodell der Teilchenphysik. Die Entdeckung des Higgs oder zumindest eines Higgs-artigen Teilchens im vergangenen Jahr war dann der Anlass, mit Hans Peter Beck von der Universität Bern einen Teilchenphysiker einzuladen. Sein Vortrag stiess in Jena auf sehr grosse Zustimmung. So verständlich hat uns noch nie jemand erklärt, welche Idee hinter dem 'verflixten Higgs', wie er es nennt, steht und warum es dieses Teilchen geben soll. Norbert Straumann wird in Bad Honnef über die Kollaboration zwischen Physikern und Mathematikern am Beispiel von Albert Einstein und Marcel Grossmann bei der Schaffung der Allgemeinen Relativitätstheorie vor 100 Jahren sprechen. Wir holen gern ausgewiesene Fachleute beispielsweise aus der Schweiz oder aus Österreich zu unseren Veranstaltungen. Das hilft, neue Verbindungen zu knüpfen.

Man hört immer mal wieder, Gymnasiallehrkräfte hätten an Teilchenphysik im Grunde wenig Interesse. Diese sei schwer verdaulich und schwierig zu vermitteln an Schülerinnen und Schüler. Ist das eine verbreitete Haltung?

Ich kann nicht mit Ja oder Nein antworten. Ich denke, die Teilchenphysik gehört zu den faszinierenden Fragestellungen der Physik. Als ich in den 1960er Jahren mein Physikstudium begann, ging von der Astronomie und der Teilchenphysik eine grosse Faszination aus. Damals war die Teilchenphysik, glaube ich, mehr im Gespräch als heute, sieht man einmal ab von dem Rummel um das Higgs-Teilchen. Ich denke nicht, dass Teilchenphysik zu schwer ist, ich denke, wir haben sie zu lange Zeit vernachlässigt. Wir unternehmen deshalb neue Anstrengungen, um Physiklehrer für diesen Bereich zu qualifizieren.

Sind andere Forschungsgebiete wie etwa Biomedizin oder Hirnforschung heute einfach attraktiver?

Wenn ich mit angehenden Lehrern spreche, merke ich, dass Einstein und Elementarteilchen und die Kosmologie heute nicht mehr automatisch jeden von ihnen interessieren. Leider ist es die erklärte Absicht von Lehrplangestaltern, Fragen des Alltags – also wie Technik funktioniert oder Fragen unter dem Modewort Nachhaltigkeit – bewusst in den Vordergrund zu rücken. Die junge Generation von Lehren sieht darin dann tatsächlich auch etwas besonders Wichtiges und besonders Interessantes, was ich auch gar nicht kritisieren möchte. Diese alltagsnahen Fragestellungen prägen heute das Bewusstsein – und verdrängen damit leider ein Stück weit die grundlegenden Fragestellungen etwa der Teilchenphysik oder der Astronomie.

Sie sind Spezialist für die Didaktik von Naturwissenschaften: Wie vermittelt man Physik – und insbesondere Teilchenphysik – so an Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, dass sie ankommt?

Ich habe kein Rezept! Ich misstraue den Modeerscheinungen zur Methodik des Unterrichts, etwa solchen Modewellen, wonach sich Schüler alles selber beibringen sollten. Wichtig sind meines Erachtens Lehrer, die gut in ihrem Fach sind und die Ausstrahlung haben. Schüler bekommen sehr schnell mit, was ein Lehrer von seinem Fach versteht und was nicht.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade gute Schüler und gute Studenten die Ideen kennen lernen wollen, die hinter der jeweiligen Physik stehen. Sie wollen nicht nur messen, sie wollen verstehen. Warum existiert Antimaterie? Was bedeutet der Teilchenspin? Wie klassifizieren wir die Teilchenfamilien? Warum sind die Fundamentalbausteine der Materie Fermionen, haben also halbzahligen Spin? All diese Ideen kann man ohne fortgeschrittene Mathematik vermitteln. Diese Ideen zu vermitteln bleibt eine didaktische Herausforderung: Ich kann in der Schule nicht mit der Dirac-Gleichung kommen. Ich kann aber vielleicht mit dem relativistischen Energiesatz kommen, der eine positive und eine negative Lösung hat, um daraus verständlich zu machen, warum es Antimaterie gibt.

Interview Benedikt Vogel (veröffentlicht: 19. Juli 2013)

  • Interessierte Lehrkräfte an der Fortbildungsveranstaltung mit Schweizer Beteiligung Mitte Juli 2013 in Jena.
  • Prof. Karl-Heinz Lotze (Friedrich-Schiller Universität Jena)
  • Interessierte Lehrkräfte an der Fortbildungsveranstaltung mit Schweizer Beteiligung Mitte Juli 2013 in Jena.Image: zVg1/2
  • Prof. Karl-Heinz Lotze (Friedrich-Schiller Universität Jena)2/2

Categories

  • Elementary particles
  • Particle Physics