Forschende entdecken extrem seltenen Teilchenzerfall
Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass die Schweizer Teilchenphysik im letzten Jahr einen neuen Eintrag im Portfolio hatte: die Forschung mit Kaonen. EPFL-Assistenzprofessor Radoslav Marchevski hatte seine Forschungsspezialität ins Land geholt: die Suche nach extrem seltenen und schwer zu entdeckenden Kaonenzerfällen. Dazu gibt es eine gute Nachricht: Sie haben etwas entdeckt!
„Wir haben statistische Beweise für einen der seltensten Prozesse in der Teilchenphysik gefunden: ein geladenes Kaon, das in ein geladenes Pion und ein Neutrino-Antineutrino-Paar zerfällt“, sagt Marchevski. Mit den Daten, die vom NA62-Experiment am CERN gesammelt wurden, wurde dieser seltene Prozess zum ersten Mal mit einer statistischen Signifikanz von fünf Standardabweichungen gemessen, so dass die Kollaboration ganz offiziell von einer Entdeckung sprechen kann. Während frühere Experimente die Existenz dieses Prozesses bereits angedeutet hatten, liefert die neue Messung den endgültigen Beweis und setzt so einen neuen Meilenstein in der Teilchenphysik.
Der Prozess des Zerfalls eines geladenen Kaons in ein geladenes Pion und ein Neutrino-Antineutrino-Paar (auch K+ ➝ π+ν ν̅ geschrieben) ist extrem selten. Das Standardmodell der Teilchenphysik sagt voraus, dass nur eines von 10 Milliarden positiv geladenen Kaonen auf diese Weise zerfällt. Gleichzeitig ist dies ein sehr vielversprechender und informativer Kanal - „der goldene Kanal in der Flavour-Physik“, wie Marchevski sagt - denn mit seiner Hilfe können Physiker sehr schnell neue Physik erkennen, wenn die Daten von der präzisen Vorhersage des Standardmodells abweichen. Das bedeutet, dass alles, was neu, unerwartet und extrem selten ist, sehr zuverlässig gegen das Standardmodell getestet werden kann. Wenn es dagegen nichts Neues oder Unerwartetes gibt, führt es dennoch zu einem viel besseren Verständnis des Standardmodells und schränkt den grossen Parameterraum ein, in dem sich Physik jenseits des Standardmodells verstecken könnte.
Diesen Meilenstein zu erreichen, war alles andere als ein Kinderspiel. Die Suche nach diesem Zerfall begann vor fast 50 bis 60 Jahren, wobei aufeinander folgende Experimente die Grenzen immer näher an die Vorhersage des Standardmodells heranführten, allerdings nie genügend Daten lieferten, um eine Entdeckung zu melden. Für die vorliegende Analyse sammelte das NA62-Team zwischen 2016 und 2023 Daten, was an sich schon eine Herausforderung war. Das NA62-System entspricht dem neuesten Stand der Detektortechnologie und stellt sehr hohe Anforderungen an die Effizienz und minimale Ausfallzeiten. Darüber hinaus müssen die Forschenden präzise Ereignisrekonstruktion gewährleisten und die Qualität der gesammelten Daten auf höchstem Niveau halten. In der Anfangsphase des Experiments war es unsicher, ob diese ehrgeizigen Ziele überhaupt erreicht werden konnten.
Um Bestätigungsfehler in ihren Analysen zu vermeiden, mussten Marchevski, sein kleines, vom SNF gefördertes Team und der Rest der Kollaboration „sehr genau auf unsere Daten achten und alles hinterfragen, was eintraf“, erklärt er. Da dieser spezielle Kaon-Zerfall so selten vorkommt, und wenn, dann ist es nur das Pion, das ihn verrät, während das Neutrinopaar unentdeckt entweicht, mussten die Forschenden den Untergrund von anderen Ereignissen der Fix-Target-Kollisionen um zwölf Grössenordnungen unterdrücken.
„Unser Ergebnis ist ein Beweis dafür, dass die Technik funktioniert“, sagt Marchevski. Mit einem Wert von 13.0-2.9+3.3×10-11 für den Anteil von K+, der auf diese Weise zerfällt, liegt das Ergebnis 50 % über dem, was im Standardmodell vorhergesagt wird, aber im Rahmen der Gesamtunsicherheit der Messung passt es immer noch. „Es zeigt nur, dass wir immer noch durch die Statistik eingeschränkt sind – wir brauchen mehr Daten, um die Genauigkeit noch weiter zu erhöhen und die Unsicherheit zu verringern. NA62 soll bis Ende 2025 laufen, mit einer möglichen Verlängerung bis 2026, wodurch sich die Statistik bereits verdreifachen dürfte.
Die Kollaboration hat ihr Ergebnis auf einem Seminar am CERN präsentiert und hofft, die entsprechende Arbeit in den nächsten Monaten zu veröffentlichen.
Barbara Warmbein (for CHIPP)
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