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Auf der Suche nach einer globalen Lösung für ein globales Problem

Forschende treffen sich zum Sustainability-Workshop, um die Wissenschaft nachhaltiger zu machen

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Bild: CERN

Um die Energiekrise kommt niemand herum – auch die Wissenschaft nicht. Angesichts steigender Preise und möglichen Strom-Engpässen ziehen Forschungszentren wie zum Beispiel das CERN in Genf bereits Konsequenzen: zusätzlich zu Stromsparmassnahmen wie ausgeschaltete Beleuchtung und ein späteres Einläuten der Heizsaison werden die Beschleuniger zwei Wochen früher als geplant ausgeschaltet und der Betrieb nächstes Jahr um 20% verkürzt.

Einer wachsenden Gruppe von Forschenden ist es schon länger ein Dorn im Auge, dass Grundlagenforschung einen so grossen CO2-Fussabdruck hat. Vor allem die Forschung an den allerkleinsten Teilchen mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern gehört zu den Stromfressern; oft verbrauchen die Maschinen und Rechenzentren so viel Energie wie mehrere Zehntausend Haushalte.

Deshalb haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengetan und entwickeln gemeinsam Konzepte, wie man Teilchenforschung nachhaltiger machen kann. Die Ideen reichen da von Abwärmenutzung über nachhaltige Kantinenbestückung bis hin zu Nachhaltigkeit in den Daten. Vor kurzem fand ein Sustainability-Workshop mit über 250 registrierten Teilnehmenden am CERN (und online) statt. Es war bereits der zweite seiner Art, und zum zweiten Mal dabei war auch Valerie Domcke, Mitorganisatorin des ersten Sustainable-HEP Workshops.

Die CERN-Theoretikerin ist Mitglied in einer Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe der europäischen Organisation der Akademien der Natur- und Geisteswissenschaften „allea“ , die im Frühjahr einen Bericht veröffentlicht hat (link). Es geht vor allem um den akademischen Bereich und wie Hochschulen und Forschungszentren nicht nur Wissen über den Klimawandel sammeln und mögliche Lösungen erforschen, sondern auch selbst den Hebel umlegen und Gewohnheiten ändern können.

„Es gibt viele Probleme, die alle wissenschaftlichen Disziplinen betreffen, und einige sehr fachspezifische Probleme. Ausserdem gibt es grosse regionale Unterschiede. Genauso ist es mit den möglichen Lösungen“, fasst Valerie Domcke zusammen. Ein Beispiel sind Dienstreisen, zum Beispiel zu Konferenzen. Dass es auch online geht, haben die Pandemie-Jahre gezeigt; dies zu etablieren und digitale Konferenzen genauso wertvoll zu machen wie klassische ist einer der Ansatzpunkte.

Allerdings ist das nicht so einfach – aus manchen afrikanischen Ländern ist es aufgrund der vielen Blackouts zu manchen Tageszeiten zum Beispiel nahezu unmöglich, an einer Online-Konferenz teilzunehmen. „Es ist interessant, wie Nachhaltigkeit in verschiedenen Ländern unterschiedlich angegangen werden muss“, sagt Domcke. „Eine Idee, die wir in der Schweiz ganz toll finden, kann in Indien ganz anders aussehen. Wir müssen für das globale Problem auch eine globale Lösung finden.“

Dann ist die Fliegerei zwar ein sehr greifbares Thema, bei dem man schnell Hebel umlegen und Wandel in Gang setzen kann. Allerdings sind die CO2-Emissionen des akademischen Flugverkehrs – und überhaupt des Flugverkehrs allgemein – viel geringer als zum Beispiel der Stromproduktion oder Landwirtschaft. Trotzdem zahlt jeder nicht angetretene Flug auf das Klimakonto ein und führt langfristig auch zu einem Gewohnheits-Wandel der einzelnen Forschenden.

Im Schatten der Energiekrise ging es beim zweiten Workshop zusätzliche zum grossen Thema CO2-Emissionen aber auch genereller um Nachhaltigkeit und Inklusion. Was ebenfalls vielen Vortragenden am Herzen lag war energie-effizientes Rechnen in der Hochenergiephysik. Rechenzentren gehören ebenfalls zu den Grossverbrauchern, und mit Kniffs und Tricks und optimierter Software liesse sich einiges an Rechenstunden sparen. (link). Am KIT im deutschen Karlsruhe wird im Datenzentrum bereits Warmwasserkühlung eingesetzt und die Abfallwärme zum Heizen der Gebäude genutzt (link).

Auch Konferenzdinner oder das Mittagessen in der Kantine standen auf dem Aktionsplan des Workshops. Hier können durch sanftes Umstellen des Angebots Gewohnheiten geändert werden, die – Stichwort Rinderzucht – für exorbitant hohe Emissionen sorgen (link). Die Sprecherin ist Mitglied einer Öko-Arbeitsgruppe am CERN und hat bereits mit dem Kantinenbetreiber viele konstruktive Gespräche gehabt.

Nicht zuletzt ging es auch um zukünftige Anlagen und wie diese von vornherein nachhaltiger gestaltet werden können. Dies ist ein Anliegen, das insbesonders von jungen Forschenden aufgebracht wurde und auch im Zusammenhang mit dem Update der European Strategy for Particle Physics intensiv diskutiert wurde. Wie der CO2-Fussabdruck einer zukünftigen Higgs-Fabrik aussehen könnte, kann man hier nachlesen (link).

Die globale Lösung haben die Teilnehmenden nicht gefunden, aber viele kleine und grössere Hebel, mit denen man kurzfristig etwas erreichen kann. „Es ist ein Prozess“, sagt Domcke, und der wird auch in den nächsten Jahren fortgesetzt. Die Teilnehmenden arbeiten gerade an einem white paper, dass die Lösungsansätze und Ideen zusammenfasst.

Auch auf nationaler Ebene bewegt sich etwas: Die Schweizer Nachwuchsforschenden in der Teilchen- und Beschleunigerphysik organisieren zusammen einen Workshop über Nachhaltigkeit. Dieser findet vom 14-16. Juni 2023 in Sursee im Rahmen des jährlichen Treffens der Schweizer Teilchenphysiker (CHIPP) statt. Er hat das Ziel, die Diskussion über Nachhaltigkeit zwischen den verschiedenen Akteuren in der Teilchenphysik zu fördern, auch unter Einbezug der Industrie und der Forschenden in der Beschleunigerphysik. So will die Gruppe gemeinsam Ideen und Grundsätze erarbeiten, um sowohl nachhaltiger zu forschen als auch mit der eigenen Forschung die Gesellschaft in Fragen der Nachhaltigkeit zu unterstützen.

Barbara Warmbein

Kategorien

  • Elementarteilchenphysik

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